Startseite
Demenz, Betreuung, Soziale Arbeit
Demenzielle Erkrankungen
Hilfsmöglichkeiten bei demenzieller Erkrankung
rechtliche Betreuung
Soziale Arbeit: Hilfsmöglichkeiten
Betreuungsrecht
Biographiarbeit
Kurzinfo Behinderung
Arbeitsmarktpolitik NL
Marienthalstudie
Gesundheitsprämie
Gewusst wie...
Links
Impressum
Gästebuch
 



In diesem Kapitel werden einerseits therapeutische Möglichkeiten zur Linderung einer Demenz diskutiert, andererseits werden finanzielle und sozialrechtliche Möglichkeiten der Unterstützung aufgezeigt. Das Betreuungsrecht wird in einem gesonderten Kapitel vorgestellt.

 1.1         Therapiemöglichkeiten bei demenziellen Erkrankungen

Da es sich bei demenziellen Erkrankungen um ein „multifaktorielle[s] Geschehen handelt“ (Gutzmann, 2003, S. 68), sollten verschiedene Strategien erprobt und miteinander kombiniert werden. Jede Maßnahme sollte sich jedoch letztlich an der Lebensqualität der Betroffenen und Angehörigen orientieren (vgl. Gutzmann, 2003, S. 69).  

 1.1.1        Medikamentöse Therapie

In diesem Abschnitt werden einige Ansätze der Pharmakotherapie vorgestellt und diskutiert, denn um als Sozialarbeiterin Betroffene und Angehörige zu beraten und als Berufsbetreuer einer medikamentösen Therapie zuzustimmen - wenn die Betroffene nicht einwilligungsfähig ist – ist dieses Wissen erforderlich.

 

Es gibt zum einen Ansätze, das kognitive Kernsymptom zu behandeln, zum Anderen die Möglichkeit der Behandlung von Begleitsymptomen/Verhaltensauffälligkeiten.

 

Behandlung von Begleitsymptomen

Bei den meisten demenziellen Erkrankungen treten neben den kognitiven Kernsymptomen weitere Auffälligkeiten auf (Aggressionen, Ängste, Apathie, Schlafstörungen), die sowohl mit Psychopharmaka als auch mithilfe von Psycho- und Soziotherapie gelindert werden können (vgl. Gutzmann, 2003, S. 51 ff).

 

Therapie des kognitiven Kernsymptoms bei der Alzheimer-Demenz

Des Weiteren gibt es Ansätze einer Psychopharmakotherapie mit dem Ziel, das kognitive Kernsymptom vor allem bei der Alzheimer-Demenz in seiner Entwicklung zu beeinflussen. Bisher lässt sich der fortschreitende Untergang von Nervenzellen weder verlangsamen noch aufhalten. Da auch die genauen Ursachen noch nicht abschließend erforscht sind, ist derzeit lediglich eine symptomatische Linderung der Leistungseinbußen möglich (vgl. Gutzmann, 2003, S. 57.) Z. B. durch Veränderungen der chemischen Botenstoffe, die durch den Verlust der Nervenzellen entstehen und die Informationsweiterleitung beeinträchtigen können. Durch Hemmstoffe der Cholinesterase (z. B. Donepezil, Ravastigmin, Galantamin [vgl. Gutzmann, 2003, S. 57]) wird der Transmitter Acetylcholin vermehrt, der bei einer Demenz vermindert ist. Dadurch wird die Signalübertragung verbessert (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 4). Der hirneigene Botenstoff Acetylcholin hat eine ausschlaggebende Bedeutung für Lern- und Gedächtnisprozesse (vgl. Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 28). Die genannten Wirkstoffe sind für die Behandlung leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz zugelassen (Gutzmann, 2003, S. 57).

 

Die Informationsweiterleitung bei einer mittelschweren bis schweren Alzheimer-Demenz kann durch Memantine verbessert werden (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 4, Gutzmann, 2003, S. 57). Dieser Wirkstoff zielt auf eine Minderung der durch Glutamat verursachten Neurotoxizität (vgl. Stoppe, 2006, S. 110).

 

Bei einem Teil der Menschen mit Demenz führen diese Medikamente offenbar zu einer vorübergehenden Verbesserung von Gedächtnisleistung und Konzentrationsfähigkeit. Durchschnittlich verzögern sie das Fortschreiten der Symptome während eines Zeitraums von sechs bis zwölf Monaten. Anschließend kommt es wieder zu einer Verschlechterung der Symptomatik (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 4).

 1.1.2        Nicht-medikamentöse Therapie

Bisher gibt es kein Medikament, dass eine primäre Demenz dauerhaft heilt (vgl. Trilling & Bruce et al., 2001, S. 20). Wegen der unklaren Ätiologie der Krankheit ist nicht einmal eine Primärprävention, die direkt an den Ursachen ansetzt, abzusehen (vgl. Gutzmann, 2003, S. 56). Deshalb könnte der Sozialen Arbeit zukünftig eine Schlüsselrolle in der Versorgung und Begleitung von Menschen mit Demenz und ihrer Angehörigen und in der Vernetzung verschiedener Dienste und Professionen zukommen.

 

Umso wichtiger sind psychosoziale Ansätze (s. u.), die stets als Alternative zur medikamentösen Behandlung zu prüfen sind. Neben der medikamentösen Therapie wurden verschiedene soziotherapeutische Methoden für den Umgang mit Menschen mit Demenz entwickelt, die den Alltag erleichtern und die Lebensqualität verbessern sollen.

 1.1.2.1       Verhaltenstherapie

Es wird als erwiesen angesehen, dass nicht nur für Menschen mit einer Demenz im Frühstadium, sondern auch Menschen mit einer fortgeschrittenen und schweren Demenz von einer Verhaltenstherapie profitieren können. Wirksam ist Verhaltenstherapie vor allem bei aggressiven Verhalten. Auch eine depressive Begleiterkrankung einer Demenz kann psychotherapeutisch erfolgreich behandelt werden (Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 29). Ebenso können Elemente der Verhaltenstherapie wie eine einfache Sprache sowie eine stark strukturierte Gesprächsführung hilfreich sein (vgl. Stoppe, 2006, S. 115).

 1.1.2.2       Hinweise zu kognitivem Training

Bei gesunden älteren Menschen können altersbedingte Einbußen durch kognitives Training wieder ausgeglichen werden. Bei Menschen mit einer Demenz sind die Effekte von Gedächtnistraining weniger positiv. Bei schon manifestierter Demenz sind Trainingsmaßnahmen nicht empfehlenswert (vgl. Stoppe, 2006, S. 115), denn der Transfer vom im Training erprobten Inhalten ist in der Regel nicht möglich (vgl. Gutzmann, 2003, S. 64).

 

Zudem kann durch kognitive Trainings der Stress verstärkt werden. Für pflegende Angehörige ergab sich in Studien weder durch kognitive Trainings noch durch Training von Alltagsaktivitäten der Betroffenen eine Verbesserung oder Erleichterung. Man kann nicht gegen einen demenziellen Prozess antrainieren, sondern deprimiert damit nur die Betroffenen und Trainer (vgl. Gutzmann, 2003, S. 64).

 

Beachtenswert ist aber, dass das implizite Gedächtnis – es umfasst auf Erfahrung und Übung beruhende Verhaltensänderungen, ohne deren Bewusstmachung – bei einer Demenz weniger beeinträchtigt ist und sich hier am ehesten Lerneffekte zeigen können. Gleiches gilt für das prozedurale Gedächtnis, das Einschleifen motorischer Akte, die aber keine Reflexion einschließen (vgl. Gutzmann, 2003, S. 63).

 1.1.2.3                Realitätsorientierungstraining (ROT)

Das Realitätsorientierungstraining setzt explizit an den krankheitsbedingten Defiziten an. Es ist eine Interventionsstrategie, die auch für schwerere Demenzerkrankungen geeignet ist. Es gibt dabei zwei Modelle:

-          Gruppenarbeit, in der grundlegende Informationen zu Ort, Zeit und Person immer wieder wiederholt werden und

-          Beim 24-Stunden-Orientierungstraining werden bei jeder Gelegenheit Realitätshinweise gegeben (z. B. „Sie heißen Frau Müller“ oder „wir haben heute Samstag, den 1. November“), sowohl im direkten Kontakt als auch durch visuelle Informationen (Hinweisschilder).

Häufig werden beide Modelle kombiniert angewendet (vgl. Gutzmann, 2003, S. 65).

 

Beim Gruppentraining konnten zwar Fragen nach „Wer? Wann? Wo?“ besser beantwortet werden, doch die örtliche Orientierung verbesserte sich ebenso wenig wie verschiedene Verhaltensstörungen. Beim 24-Stunden-Training scheinen die Erfolge etwas besser, beruhen aber vor allem auf der verstärkten sozialen Interaktion (vgl. Gutzmann, 2003, S. 65). Kritisch wird vor allem die Tatsache bewertet, dass das ROT Menschen mit Demenz kontinuierlich mit ihren Defiziten konfrontiere. Eine Wirksamkeit konnte allenfalls bei leichten Demenzen festgestellt werden (vgl. Stoppe, 2006, S. 116).

 1.1.2.4       Sinnesorientierte Verfahren

Dies sind Verfahren, die über taktile, olfaktorische, akustische oder optische Reize versuchen, besonders Menschen mit schwerer Demenz zu erreichen (vgl. Stoppe, 2006, S. 118). Dazu zählen:

-          Snoezeln, das in der Regel in speziell eingerichteten Räumen stattfindet. Geräusche, Licht, Gerüche und Materialien zum Berühren sorgen für eine angenehme Atmosphäre und sollen die Kommunikation erleichtern

-          Basale Stimulation beruht auf der Annahme, dass schwerstbehinderte Menschen auf Sinnesreize reagieren. Durch regelmäßige Therapeutische Stimulation kann Isolation und damit Deprivation und Reizlosigkeit verhindert werden. Praktisch werden zur Stimulation z. B. süße, salzige oder saure Nahrungsmittel oder kräftige Gerüche eingesetzt. Mit Massagen und Lagerungen können sensorische und muskuloskeletale Wahrnehmungen ausgelöst werden. Es sollte jedoch darauf geachtet werden, dass aber keine Reizüberflutung stattfindet.

-          Aromatherapie mit Melisse, zu der eine Studie durchgeführt wurde. Diese Therapie findet allerdings noch keine breite Anwendung.

-          Kinästhetik konzentriert sich auf Bewegungsempfindungen, basierend auf Erkenntnissen der humanistischen Psychologie, Verhaltenskybernetik und Tanz- und Körpertherapeutischen Ansätzen. Bewegungsabläufe werden bei diesem Verfahren so gestaltet, dass das Orientierungs- und Bewegungsgefühl des Demenzkranken stimuliert wird

(vgl. Stoppe, 2006, S. 119).

 1.1.2.5       Soziotherapeutische Maßnahmen1.1.2.5.1             Milieutherapie

Die Milieutherapie versucht, die Umgebung an den Demenzprozess anzupassen. Dabei wird sowohl am kranken Menschen selbst, als auch an seinem sozialen Umfeld, dem Wohn- und Lebensraum und den Betreuungsbedingungen angesetzt. Dazu werden visuelle Orientierungshilfen eingesetzt. Die Beleuchtung sollte z. B. immer ausreichend sein. Auch Erinnerungszimmer können eingerichtet werden, die in gleichem Zustand bleiben und die Menschen erleben können, dass manche Dinge sich nicht verändern (vgl. Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 29).

 1.1.2.5.2             Selbsterhaltungstherapie (SET)

Die Selbsterhaltungstherapie ist ein neuropsychologisches Trainingsverfahren, das auf eine (längere) Erhaltung der personalen Identität setzt. Es knüpft im Gegensatz zum ROT nicht an den Defiziten an, sondern setzt an den individuell weniger beeinträchtigten Kompetenzen an.

 

„Nicht Selbst-Korrektur sondern Selbst-Erhalt werden angestrebt“ (vgl. Gutzmann, 2003, S. 66). Denn  das Konstrukt des „Selbst“ ist durch die Demenz stark gefährdet. Da das Wissen über die eigene Person verloren geht, schwindet allmählich auch die eigene Identität. Spezielle Übungsprogramme, die Elemente der Erinnerungstherapie und Validation (siehe unten) verbinden, werden dazu angewandt. Es werden Erinnerungshilfen wie Lieder, Fotoalben usw. eingesetzt sowie Gewohnheiten und frühere Gewohnheiten berücksichtigt. Hilfestellung wird nur so viel wie nötig geleistet, damit die Selbständigkeit erhalten bleibt und das Selbstwertgefühl gefördert wird. Bestätigende Rückmeldungen sollen dazu führen, dass sich die Betroffenen an Aktivitäten ohne Misserfolgserlebnisse beteiligen (vgl. Hauser, 2005, S. 42 f). Die Stabilisierung des Selbst sollte dabei durch eine konstante Bezugsperson unterstützt werden um dem Ziel der „Erhaltung eines tragenden Selbst“ (Romero & Wenz, 1999, S. 116. Zitiert in: Hauser, 2005, S. 43). Außerdem soll das Gefühl vermittelt werden, dass das Leben auch mit Einschränkungen einen Sinn hat (vgl. Hauser, 2005, S. 43).

 1.1.2.5.3             Biographiearbeit/Erinnerungspflege

Vorrangiges Ziel biographischer Methoden ist es, die personale Identität möglichst lange aufrechtzuerhalten, indem die Erinnerung an die eigene Lebensgeschichte aktiviert wird. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass das semantische Gedächtnis (Langzeitgedächtnis) relativ lange erhalten bleibt. Verschiedene Aktivitäten, z. B. das gemeinsame Singen von Liedern, gewohnte Spaziergänge, Fotos anschauen, das Essen eines Lieblingsessens usw. können die Erinnerungen lebendig halten (vgl. Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 30). Übergeordnetes Ziel dabei ist es, über die Vergangenheiten mit anderen in Beziehung zu treten. Selbstbewusstsein, Freude und Gemeinsamkeit können so ins Leben gebracht werden  (vgl. Trilling & Bruce, 2001, S. 45 f.) und die Lebensqualität verbessern (vgl. Gutzmann, 2003, S. 65).

 

Daneben kann die Lebensgeschichte eines Menschen den Schlüssel zum Verständnis von Verhalten liefern. Wenn man die Biographie des Betroffenen kennt, kann man seinen Bedürfnissen gerechter werden (vgl. Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 30).

 

 

 1.1.2.5.4      Validation

Die Validationstherapie, entwickelt von Naomi Feil (2000), stellt eine besondere Kommunikationsform dar, um mit Menschen mit einer Demenz (die Methode wurde primär für Alzheimerpatienten entwickelt) in Kontakt zu treten. Sie beinhaltet eine Grundhaltung gegenüber den Betroffenen, die auf bestimmten Prinzipien, Werten beruht (vgl. Feil, 2000, S. 42 f.). Die Erlebniswelten und Sichtweisen der Menschen mit Demenz werden dabei als real anerkannt und es wird auf eine Realitätsorientierung verzichtet. Statt zu widersprechen wird die Person durch Verbalisieren von Gefühlen wertgeschätzt. Durch diese Wertschätzung des verwirrten Menschen kann Stress abgebaut und die Lebensqualität gesteigert werden (vgl. Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 30).

 1.1.2.5.5             Angehörigenbetreuung und Beratung

Der überwiegende Teil (80 – 90 % [vgl. Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 29]) der Menschen mit einer Demenzerkrankung wird zu Hause versorgt. Viele Angehörige kommen dabei an ihre psychischen und körperlichen Grenzen, ziehen sich aus ihrem bisherigen sozialen Leben zurück und wissen kaum über Hilfsmöglichkeiten Bescheid. Sozialarbeiterinnen können dabei Hilfsangebote machen, die

-          primär auf den kranken Menschen bezogen sind:

Hier können Informationen über externe Hilfen gegeben werden, wie z. B. ambulante Dienste, Pflegestätten (Tagespflege) und Kurzzeitpflege um z. B. einen Urlaub zur Erholung zu machen.

-          in erster Linie auf die pflegenden Angehörigen bezogen sind

Häufig opfern sich Angehörige sehr stark für die Pflege, geben manchmal sogar ihren Beruf auf und haben ein schlechtes Gewissen, wenn sie nicht ständig für den Angehörigen zur Verfügung stehen. Soziale Isolation ist deshalb eine fast zwangsläufige Folge. Auch Depressionen sind nicht selten. In Angehörigengruppen können sich pflegende Angehörige mit Menschen in einer ähnlichen Lebenslage austauschen und merken, dass sie nicht alleine sind. Dies kann äußerst entlastend wirken (vgl. Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 29).

 

Sozialarbeiterinnen können in der Arbeit mit Angehörigen zur gezielten Gesundheitsförderung mit dem Ziel der Belastungsverarbeitung beitragen. Interventionsmöglichkeiten können dabei Einzel-, Familien- und Gruppenberatung sein (vgl. Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 30).

 1.2          Aufgabenbereiche für Sozialarbeiterinnen

In der Behandlung von Demenzen und der Begleitung von Menschen mit Demenz sind Sozialarbeiterinnen unter Integration der oben beschriebenen soziotherapeutischen Methoden vor allem für zuständig für:

-          Die bereits beschriebene Angehörigenarbeit sowie die Aufklärung der Angehörigen über demenzielle Erkrankungen, damit sie besser mit der Krankheit umgehen können.

-          Supervision: häufig ist das Pflegepersonal überfordert und immer wieder tauchen Berichte über Misshandlungen alter Menschen auf. Der Umgang mit Menschen mit Demenz kann tatsächlich sehr anstrengend und schwierig sein. Nicht selten fehlt aufgrund von personellen Engpässen die Zeit, um sich mit den kranken Menschen zu beschäftigen und Verhaltensauffälligkeiten zu verstehen. Sozialarbeiter können an dieser Stelle mittels der Supervision unterstützend wirken, indem sie gemeinsam mit Pflegepersonal die Gründe für bestimmte Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz erarbeiten und Strategien entwickeln, wie mit Stress-Situationen und schwierigen Verhalten umgegangen werden kann.

-          Öffentlichkeitsarbeit, denn die Öffentlichkeit ist nur unzureichend und einseitig über Demenzerkrankungen informiert. Dabei werden demenzkranke Menschen „als hilfloses, desorientiertes, retardiertes Wesen, das am Besten in Heimen untergebracht ist, gesehen“ (Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 32). Soziale Arbeit kann hier Vorurteile beseitigen, um stattdessen ein realistisches Bild über Menschen mit einer Demenz zu verbreiten und damit der Isolation von Demenzkranken vorzubeugen.

-          die Schaffung sozialer Netzwerke. Durch die Vermittlung angemessener, flankierender Hilfen, kann die gewohnte Lebenssituation erhalten bleiben. Zudem kann durch rechtzeitige Beratung einer Überlastung von Angehörigen vorgebeugt werden und bei Bedarf können geeignete Wohnformen vermittelt werden

(vgl. Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 31 f)


 1.3         Rahmenbedingungen der finanziellen und rechtlichen Hilfen für Menschen mit Demenz

Die materielle Sicherung des Lebens von Menschen mit einer Demenz stellt eine wichtige Basis für weitere Hilfsmaßnahmen dar. Deshalb ist es für Sozialarbeiterinnen wichtig, diese Möglichkeiten zu kennen.

 

Für Behandlung, Pflege und Versorgung von Menschen mit Demenz können gesetzliche Ansprüche auf Sozialleistungen/Versicherungsleistungen geltend gemacht werden. Neben der Rentenversicherung zählen Pflegekassen, Krankenkassen und das Grundsicherungsamt zu den wichtigsten Trägern dieser Leistungen. Es soll hier lediglich ein kurzer Überblick über mögliche Leistungen gegeben, da im Zentrum dieser Arbeit die rechtliche Betreuung als mögliche Unterstützung steht. Für den Betreuer ist es jedoch wichtig, über die Versorgungsmöglichkeiten informiert zu sein. Es wird ein kurzer Überblick über mögliche Sozialleistungen und rechtliche Belange gegeben, die als Orientierung dienen soll, damit sich ein Betreuer im Dschungel der Paragraphen zurechtfindet. Auf Details wird dabei bewusst verzichtet und lediglich aufgezeigt, welche Ansprüche es gibt und wo diese geregelt sind.

 1.3.1        Struktur der Leistungszuständigkeiten – Prinzipien des Systems sozialer Sicherung

Zunächst soll ein Überblick über die Versorgungsstruktur der Hilfen des Sozialrechts für Demenzkranke gegeben werden. Dabei werden zunächst grundlegenden Prinzipen des Sozialversicherungssystems dargestellt:

 

Zum einen das Kausalitätsprinzip, das nach der Ursache des Hilfebedarfs fragt und entscheidend für die Zuständigkeit des Leistungsträgers ist (z. B. die Unfallversicherung bei Arbeitsunfällen). Zum anderen das Finalitätsprinzip, bei dem das Ziel der Leistungen in den Vordergrund gerückt wird; unabhängig von der Ursache werden Leistungen im Eintritt des Bedarfsfalls gewährleistet (vgl. Brill & Marschner, 2005, S. 33).

Weitere Strukturmerkmale sind:

-          das Versicherungsprinzip, nach dem die Mitgliedschaft im Falle des Bedarfs den Anspruch auf Leistungen begründet (z. B. bei der Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen-, Renten- und Unfallversicherung)

-          das Versorgungsprinzip ist überwiegend bei gesundheitlichen Schäden von „Sonderopfern“ ausschlaggebend (z. B. bei Wehrdienstschäden)

-          das Fürsorgeprinzip stellt staatlich finanzierte Leistungen zur Verfügung, sofern kein Anspruch auf Versicherungs- und Versorgungsleistungen besteht und die Eigenmittel der Betroffenen nicht ausreichen (Leistungen nach dem SGB II und XII)

(vgl. Brill & Marschner, 2005, S. 33).

 

Die folgende Tabelle (übernommen aus Brill & Marschner, 2005, S. 34) mit eigenen Ergänzungen (nach SGB) verdeutlicht das System der Leistungszuständigkeiten und ihre Rangfolge für „Behandlung, Rehabilitation, und Teilhabe, Pflege“ (Brill & Marschner, 2005, S. 34):

 
Bedarf bei: Krankheit Bestehender oder drohender Behinderung Pflegebedürftigkeit
Leistungen: Kranken-behandlung Medizinische Rehabilitation Teilhabe am Arbeitsleben Teilhabe am Leben in der Gesellschaft SGB VI Pflege
Vorrangig zuständig: Kranken-versiche-rung

SGB V Rentenver-sicherung SGB VI Krankenver-sicherung SGB V Rentenver-sicherung SGB VI

Arbeitsförde-rung SGB II   Pflegeversicherung

SGB XII
Nachrangig Zuständig: Sozialhilfe SGB XII Sozialhilfe

SGB XII Sozialhilfe SGB XII Sozialhilfe

SGB XII Sozialhilfe SGB XII

 1.3.2        Gesetzliche Krankenversicherung

Grundlage für die gesetzliche Krankenversicherung sind die Regelungen des SGB V. Danach ist ambulanten Hilfen der Vorrang gegenüber stationären Hilfen zu gewähren (vgl. Brill & Marschner, 2005, S. 48). Weiteres Prinzip ist das der Prävention vor Heilung. Im SGB V spiegelt sich dies auch in den verschiedenen Leistungsarten wider: Prävention und Selbsthilfe (§ 20 SGB V), Verhütung von Krankheiten und Vorsorge (§§ 21 – 24 SGB V), Früherkennung (§§ 25 und 26 SGB V), Behandlung von Krankheiten (§§ 27 – 43b SGB V). Die Leistungen der Behandlung umfassen die notwendige ärztliche Behandlung, einschließlich Psychotherapie, zahnärztliche Behandlungen, Versorgung mit Zahnersatz, „Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln (…), häusliche Krankenpflege und Haushaltshilfe, (…) Krankenhausbehandlung, (…) Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen“ (§ 27, 1 SGB V). Dabei ist den „besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu tragen, insbesondere bei der Versorgung mit Heilmitteln und bei der medizinischen Rehabilitation“ (§ 27, 1 S. 3).

 1.3.2.1       Zuzahlungen

Infolge der Sparpolitik der vergangenen Jahre sind die Zuzahlungen der Versicherten bei Arztbesuchen, Arzneimitteln, Krankenhausbehandlung, Rehabilitationsmaßnahmen und Heilmitteln erheblich gestiegen. Seit 2004 gibt es keine vollständige Zuzahlungsbefreiung mehr, sondern nur noch so genannte Härtefallregelungen für Menschen mit geringeren Einkommen (vgl. Brill & Marschner, 2005, S. 49).

 

Belastungsgrenze: niemand, der gesetzlich krankenversichert ist, muss für Versicherungsleistungen mehr als 2 % des Bruttojahreseinkommens Eigenbeteiligung einbringen (§ 62 SGB V). Eine Sonderregelung gilt für Menschen mit chronischen Krankheiten, wozu auch eine Demenz gezählt werden kann: wer „wegen derselben schwerwiegenden Erkrankung in Dauerbehandlung ist, muss nicht mehr als ein Prozent des Bruttoeinkommens leisten. Eine schwerwiegende chronische Krankheit liegt vor, wenn sie wenigstens ein Jahr lang einmal pro Quartal ärztlich behandelt wurde“ (Brill & Marschner, 2005, S. 49). Zudem muss eines der folgenden Kriterien erfüllt sein:

-          wenigstens Pflegestufe II nach SGB XII oder

-          Grad der Behinderung von 60 % oder mehr oder

-          eine Verschlimmerung der Erkrankung, die lebensbedrohlich ist, eine geringere Lebenserwartung oder eine kontinuierlich beeinträchtigte Lebensqualität zu erwarten ist

(vgl. Brill & Marschner, 2005, S. 49).

Vorraussetzung, um die teilweise Zuzahlungsbefreiung zu beanspruchen ist, dass die Betroffene bzw. die Betreuerin als gesetzliche Vertreterin (§ 1902 BGB) die geleisteten Zuzahlungen durch Belege (Quittungen) nachweist und der Krankenkasse vorzeigt. Über die Belastungsgrenze hinaus geleistete Zahlungen können dann rückerstattet werden oder eine Befreiungsbescheinigung ausgestellt werden, wenn die Belastungsgrenze erreicht ist (vgl. Brill & Marschner, 2006, S. 50). Für Menschen, die in Einrichtungen leben und Sozialhilfe beziehen und nur den Barbetrag (Taschengeld) zur Verfügung haben, übernimmt der Sozialhilfeträger die Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze als Darlehen (vgl. § 35, 3 SGB XII). Einer übermäßigen Belastung zum Jahresbeginn soll damit vorgebeugt werden (vgl. Brill & Marschner, 2005, S. 50).

 1.3.3        Pflegeversicherung

Die Pflegeversicherung ist eine „Teilkaskoversicherung“, die Leistungen für Pflegebedürftige Personen bis zu einer bestimmten Höhe übernimmt.

Die Pflegebedürftigkeit ist in § 14 SGB XI definiert. Demnach gelten „Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichen oder höherem Maße (§ 15) der Hilfe bedürfen“ (Sozialhilfe. Grundsicherung, 2005) . Es gibt Leistungen innerhalb von drei Pflegestufen (vgl. § 15 SGB XI), die von der Dauer der benötigten Hilfe abhängen. Dabei gibt es vordefinierte Zeiten für jede Leistung, z. B. Waschen. Soll aber bei der pflegebedürftigen Person die Selbständigkeit erhalten werden, indem man sie möglichst viel selbst machen lässt, dauert die Pflege u. U. länger. Leistungen werden aber nur für die vorgegebene Zeit gezahlt. Weiter ist in § 15 SGB XI, § 3 Nr. 1 – 3 definiert, wie viel Pflege (in Minuten) notwendig ist, um in die jeweilige Pflegestufe eingestuft zu werden.

 

Innerhalb der Pflegestufen wird noch einmal unterschieden zwischen ambulanter (§ 36 ff. SGB XI), teilstationärer (§ 41 SGB XI) und vollstationärer (§ 43 ff. SGB XI) Pflege.

 

Bei der häuslichen Pflege kann man wählen zwischen Sachleistung (§ 36 SGB XI), d. h. die Pflege wird von einem Pflegedienst ausgeführt, der einen Versorgungsvertrag mit der Kasse abgeschlossen hat und  direkt von der Pflegeversicherung (plus Zuzahlung der Betroffenen) bezahlt wird. Und zwischen der geringeren Geldleistung/Pflegegeld (§ 37 SGB XI), wenn die Pflege durch die Familie oder andere Personen übernommen werden soll. Auch eine Kombination von Pflegesachleistung und Pflegegeld ist möglich und wird prozentual berechnet (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 89 f., Sozialhilfe. Grundsicherung, 2005, S. 333 ff.).

 

Daneben können Leistungen der so genannten „Verhinderungspflege“ (§ 39 SGB XI) in Anspruch genommen werden, wenn die Pflegeperson durch Krankheit oder Erholungsurlaub verhindert ist (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 90).

Zusätzlich kann aus den gleichen Gründen wie bei der Verhinderungspflege einmal jährlich maximal vier Wochen „Kurzzeitpflege“ (§ 42 SGB XI) gewährt werden.

Subsidiär zu anderen Leistungen, z. B. durch die Krankenversicherung (SGB V), können nach § 49 SGB XI auch „Pflegehilfsmittel und technische Hilfen“ in Anspruch genommen werden.

 1.3.4        Hilfe zur Pflege nach SGB XII

Ergänzend zu den Leistungen der Pflegeversicherung kann subsidiär (d. h. wenn alle anderen Hilfen ausgeschöpft sind) Hilfe zur Pflege nach SGB XII §§ 61 ff in Anspruch genommen werden. Voraussetzung ist, dass die Leistungen der Pflegeversicherung nicht genügen, um die Kosten zu decken und kein ausreichendes Einkommen zur Finanzierung der Pflege vorhanden ist. Dabei muss eigenes Einkommen und Vermögen zunächst eingebracht werden. Die Einkommensgrenze ist in § 85 SGB XII festgelegt. Der Antrag auf Hilfe zur Pflege wird beim Grundsicherungsamt gestellt.

 1.3.5        Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz

Ziel des Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetzes (Pflegt) ist es, den Pflegebedürftigen, die einen hohen Bedarf an „allgemeiner Betreuung und Beaufsichtigung“ (vgl. Alzheimer Angehörigeninitiative, 2004) haben, mehr Unterstützung zu ermöglichen.

Ergänzend zu den Leistungen nach Pflegestufen können für Pflegebedürftige seit 2002 - die nicht dauerhaft in einer stationären Pflegeeinrichtung leben - zu den regulären Leistungen der Pflegeversicherung bis zu 460 € pro Kalenderjahr zusätzlich beantragt werden. Ungedeckte Kosten für Kurzzeit-, Tages- oder Nachtpflege und Angebote der allgemeinen Betreuung und Anleitung der Pflegedienste (keine grundpflegerischen oder hauswirtschaftlichen Leistungen)  können damit zweckgebunden finanziert werden. Auch anerkannte regionale Betreuungs- und Entlastungsangebote (Modellprojekte niedrigschwelliger Betreuungsangebote) können nach Vorlage von Belegen auf diese Weise finanziert werden (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 90). Dies können z. B. Betreuungsgruppen für Menschen mit Demenz, Angehörigengruppen oder niedrigschwellige Betreuungsangebote sein. Demenzkranke, bei denen keine Pflegestufe anerkannt wurde, bekommen nach wie vor keine Unterstützung (vgl. Alzheimer Angehörigeninitiative, 2004) bzw. müssen diese selbst finanzieren.

 1.3.6        Schwerbehindertenausweis

Ab einem gewissen Schweregrad kann eine Demenzerkrankung als Schwerbehinderung nach SGB IX anerkannt werden (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 93). Demnach sind Menschen behindert, „wenn ihre körperlich Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist“ (§ 2, 1 SGB IX, Sozialhilfe. Grundsicherung, 2005, S. 257). Wenn ein Grad der Behinderung von mindestens 50 % festgestellt wird, gelten sie als schwer behindert (§ 2, 2 SGB IX). Auf Antrag, der beim Versorgungsamt gestellt werden muss, kann der Grad der Behinderung (GdB) ermittelt werden (§ 69, 1 SGB IX). Ein Ausweis wird nach erfolgter Feststellung der Behinderung auf Antrag ausgestellt (§ 69, 5 SGB IX).

Neben dem Grad der Behinderung können Merkmale der Behinderung beantragt werden:

-          H für Hilflosigkeit, wenn Behinderte dauerhaft für die Verrichtungen des täglichen Lebens fremde Hilfe benötigen. Ermöglicht die unentgeltlich Beförderung im ÖPNV;

-          G für Gehbehinderung/Bewegungseinschränkung aufgrund örtlicher Desorientierung;

-          B für notwendige Begleitung zur Vermeidung von Gefahren;

-          RF für die Befreiung von Rundfunkgebühren, sofern z. B. wegen krankheitsbedingtem störenden Verhalten nicht mehr an öffentlichen Veranstaltungen teilgenommen werden kann (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 93, Kraus, 2003, S. 283 ff.).

 

Der Schwerbehindertenausweis ermöglicht eine Reihe von Vorteilen z. B. steuerliche Erleichterungen, kostenlose Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Merkmal G) vergünstigte Eintritte in öffentliche Einrichtungen (Museen, Schwimmbäder), Befreiung von Rundfunkgebühren und Vergünstigung beim Telefon (Merkmal RF) (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 94). 

 

 
Top