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zur Arbeitslosigkeit (um 1930)

Dies ist die Ausarbeitung eines Referats, das ich im Januar 2005 gemeinsam mit Melanie Gall vorgetragen habe. Es handelt sich um eine umfassende Studie zur Arbeitslosigkeit Anfang des 20. Jahrhunderts die bis heute Bedeutung hat.


1. Einleitung

Die Marienthal-Studie gehört zu den Klassikern der sozialwissenschaftlichen Forschung. Durch ihren Methodenreichtum gilt sie bis heute als vorbildliche empirische Studie. Die Veröffentlichung der Marienthal-Studie in dem Buch: „Die Arbeitslosen von Marienthal“ wurde in englischer, amerikanischer, französischer und koreanischer Sprache herausgegeben. Die Originalausgabe aus dem Jahr 1933, wurde nur wenige Monate nach ihrem Erscheinen, auf dem Scheiterhaufen der großen Buchverbrennung geworfen und eine neue deutsche Auflage folgte erst im Jahr 1960.

 

2. Das Forschungsteam

Geleitet wurde das Forscherteam von Lazarsfeld, Jahoda und Zeisel.

 

2.1 Paul Felix Lazarsfeld (1901-1976)

-         1901 in Wien geboren

-         Während seiner Gymnasialzeit war er führendes Mitglied der „Vereinigung sozialistischer Mittelschüler“ und später der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei.

-         1919 bis 1924 Studium der Mathematik an der Universität Wien

-         1925 Doktor in angewandter Mathematik

-         1926 Heirat mit Marie Jahoda

-         1929 bis 1933 Professor für angewandte Psychologie an der Universität Wien

-         1931 bis 1933 Initiator und wissenschaftlicher Leiter der „Österreichischen Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle“ in Wien und an der Marienthal-Studie beteiligt.

-         1933 emigrierte er in die USA, wo er wegen der politischen Entwicklung in Österreich blieb und bis zu seinem Tode im Jahre 1976 an der Columbia Universität lehrte.(vgl. Die Marienthalstudie, Projekt MeS, 2002, S.1f.).

 Zitat
„Dass das, was Menschen fühlen, ebenso wichtig ist wie das, was sie sagen, ist jetzt wohl als Axiom der Sozialforschung anerkannt“ (Lazarsfeld, 1960)
 


2.2 Marie Jahoda (1907-2001)

-         1907 in Wien als Kind jüdischer Eltern geboren.

-         Bereits als Schülerin aktives Mitglied der Vereinigung Sozialistischer Mittelschüler in Wien, zeitweise Vorsitzende des Bundes der Sozialistischen Mittelschüler Österreichs.

-         1926 Abitur am Realgymnasium für Mädchen in Wien

-         1926 bis 1928 Studium an der Pädagogischen Akademie der Stadt Wien, Examen als Volksschullehrerin

-         1926 bis 1933 Studium der Psychologie an der Universität Wien bei Karl und Charlotte Bühler. Im Jahr 1932 Doktor der Psychologie

-         1933 bis 1936 Leitung der Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle

-         1936 wegen illegaler Tätigkeit in der sozialdemokratischen und sozialistischen Bewegung verhaftet. Aberkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft.

-         1937 Emigration nach Großbritannien; Feldforschung in Süd-Wales

-         1945 Übersiedlung in die USA. Professorin für Sozialpsychologie an der New York State Universität.

-         1958 Rückkehr nach Großbritannien, wo sie als Professorin bis 1973 an der Universität Sussex lehrte (vgl. Wacker 1992, S. 41-43).

„Der einzige Grundgedanke, an dem ich dauernd versuche festzuhalten, ist, dass es eine Wechselwirkung zwischen menschlichen Handlungen und gesellschaftlichen Forschen gibt und dass deshalb ein Sozialpsychologe ebenso über die Fähigkeiten des menschlichen Organismus als auch über die sozialen Zustände und die Ideen der Soziologie informiert sein muss“ (Jahoda/Niess, 1985)


 

2.3 Hans Zeisel (1905-1992)

-         1905 in der heutigen Tschechoslowakei geboren

-         Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Wien

-         1927 Doktor der Rechtswissenschaften

-         1930 bis 1932 Mitarbeiter an der Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle

-         1938 Emigration in die USA

-         1943 Lehrbeauftragter für Ökonomie und Statistik an der Universität New York

-         1951 bis 1953 Lehrbeauftragter an der Columbia Universität

-         1953 bis 1992 Professor für Statistik, Recht und Soziologie an der Universität in Chicago ( vgl. Die Marienthalstudie, Projekt MeS, 2002, S.1 f.). 

 „Wir haben die ersten scharfen Werkzeuge in den Werkzeugkasten der empirischen Sozialforschung gelegt und damit dem Sozialforscher neuen Mut gegeben, sich immer schwierigeren Problemen zu nähern, neue Gebiete in seine Forschung einzuschließen“ (Zeisel, 1981, S. 402)
 


3 Anlass der Studie

3.1 Das Industriedorf Marienthal wird arbeitslos

Marienthal ist ein Ort in Österreich mit 1486 Einwohnern (478 Familien) und befindet sich im Steinfeld, wenige Kilometer östlich von Wien gelegen. Im Jahre 1830 gründete Hermann Todesko dort eine Flachspinnerei, die sich zu einer der größten Textilfabriken der Österreichisch-Ungarischen Monarchie entwickelte und später bis zu 1200 Mitarbeiter beschäftigte. In den Anfangsjahren entstand um die Fabrik das Dorf Marienthal, damit die Arbeiter in unmittelbarer Nähe zur Spinnerei wohnen konnten. Durch den Zusammenbruch des österreichischen Kaiserreiches verlor die Textilfabrik den größten Teil ihrer Absatzmärkte in Ungarn und auf dem Balkan was dazu führte, dass 1926 die Hälfte der Belegschaft entlassen wurde.

Im Jahre 1929, noch vor dem Beginn der Weltwirtschaftskrise, wurden die Spinnerei, die Druckerei, die Bleiche und im Februar 1930 die Weberei stillgelegt. Wenige Tage nach der Schließung der Textilfabrik, wurden sechzig Mann der Belegschaft damit beauftragt, die Gebäude abzureißen, was zur Folge hatte, dass das ganze Dorf arbeitslos wurde. Zu dieser Zeit gab es in Wien und Umgebung nicht genügend Arbeit, so dass die Marienthaler arbeitslos blieben (vgl. Jahoda u.a 1975, S. 32-36).

 

3.2 Entstehungskontext der Marienthal-Studie

Die drei genannten Forscher waren alle an der Wiener Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle, einem kleinen Marktforschungsinstitut, beschäftigt. Paul F. Lazarsfeld begann im Jahr 1930 die Pläne für die Marienthal-Studie zu entwickeln. Sein erster Gedanke war, die Freizeitgestaltung von Arbeitern sozialwissenschaftlich zu untersuchen. Diese Idee stellte er dem Sozialistenführer Otto Bauer vor, der das in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit für unangebracht hielt. Dieser machte den Vorschlag, eine empirische Studie über die Folgen langandauernder Arbeitslosigkeit zu untersuchen und dieses in dem Ort Marienthal in Österreich durchzuführen. Hinzu kommt der Einfluss von Charlotte Bühler, deren Assistent Paul Lazarsfeld war. Sie entwickelte ein „entwicklungspsychologisches System, das den ganzen menschlichen Lebenslauf umfasste“ und bildete Kategorien wie Leistungswillen, Selbsterfüllung und versuchte komplexe Lebenswelten empirisch zu erfassen (Jahoda u.a. 1975, S. 14).

Paul F. Lazarsfeld übernahm die Leitung der Forschungsgruppe, die aus fünfzehn zusätzlichen Personen, davon vier Personen aus Marienthal, bestand (vgl. Wacker 1992, S. 4-10). Finanziert wurde die Studie durch die Wiener Arbeiterkammer und durch einen Rockefeller Fonds, der von den Eheleuten Bühler verwaltet wurde (vgl. Jahoda u.a 1975, S. 10).

 

4. Forschung

4.1 Die Forschungsfrage

In Marienthal waren 1932 mehr als drei Viertel der 478 Familien von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Forschungsgruppe versuchte in ihrer Untersuchung nach den psychischen und sozialen Folgen der Arbeitslosigkeit zu fragen. Eine zentrale Frage der Untersuchung war, welche Konsequenz Massenarbeitslosigkeit bei Arbeitern auslöst: Führt sie eher zur Radikalisierung oder zur Apathie bei den betroffenen Menschen? (vgl Diekmann 1995, S 459).

Bei der Beobachtung in Marienthal ging es nicht um den einzelnen Arbeitslosen, der Untersuchungsgegenstand war das ganze Dorf (vgl. Jahoda u.a 1975, S. 24). Als das Forschungsteam im Herbst 1931 mit den Vorbereitungen begann, hatten sie weder einen inhaltlichen Plan, noch gab es formale Arbeitsteilungen im Team. Die Forschungsmethoden wuchsen aus der Konzentration auf das Problem, nicht um ihrer selbst willen (vgl. Wacker 1995 S. 11-12).Trotzdem ging das Forschungsteam nicht mit vagen Vorstellungen nach Marienthal, sie wussten, auf welche Kriterien ihre Studie basieren sollte. Zwei Hauptfragen waren für sie von Bedeutung: 1. Stellung zur Arbeitslosigkeit und 2. Wirkungen der Arbeitslosigkeit. Zu den zwei Hauptfragen wurden einundzwanzig „Unterfragen“ gestellt z.B.: „Was ist die erste Reaktion auf die Arbeitslosigkeit? und „Wirkungen auf den physischen Zustand der Bevölkerung?" (Jahoda u.a. 1975, S. 30)

Die Studie hat bis heute nicht an Aktualität verloren, denn bei zurzeit 4,6 Millionen Arbeitslosen, ist sie auch heute ein hochaktuelles Thema geblieben. Die soziale Sicherung der Arbeitslosen war damals anders geregelt als heute. Wer finanzielle Unterstützung beantragen wollte, musste den Nachweis erbringen, dass er oder sie einer zwanzigwöchigen Arbeit im vorherigen Jahr nachgegangen ist und dass eine Gefährdung des Lebensunterhaltes durch den Verdienstausfall vorliegt. Die finanzielle Unterstützung richtete sich nach der Höhe des letzten Lohnes und der Familiengröße. Sie wurde zwischen zwanzig und dreißig Wochen bezahlt, danach konnte die Notstandshilfe, die etwa achtzig Prozent der Arbeitslosenunterstützung ausmachte, beantragt werden. Die Dauer dieser Unterstützung bestimmte die Industrielle Bezirkskommission ( Dauer der Auszahlung: 22-52 Wochen), nach dieser Zeit bekamen die Arbeitslosen keine finanzielle Hilfe mehr. Übernahmen Arbeitlose, in der Zeit der finanziellen Hilfe, irgendeine Arbeit erlosch die Unterstützung sofort. Wenn die finanzielle Unterstützung zum Leben nicht reichte, blieb ihnen nur noch das Stehlen und Betteln (vgl. Jahoda u.a 1975, S. 38).

 

4.2 Die Untersuchung

Das Forschungsteam war insgesamt 120 Tage in Marienthal und keiner der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sollte in die Rolle des Reporters oder Beobachters erscheinen. Jeder von ihnen musste irgendeine für die Bewohner des Ortes nützliche Funktion übernehmen ( vgl. ebd. S. 28).

Im Interesse der Wissenschaft war es sehr wichtig, dass eine gewisse Objektivität in der Studie bewahrt wurde. Wer die Marienthal-Studie kennt, stellt sich sofort die Frage, warum die damalige Regierung nichts gegen die Zustände in Marienthal unternommen hat. Aus diesem Grund mussten alle Ergebnisse mit nachprüfbaren quantitativen Daten belegt werden. Das subjektive Erleben der Arbeitslosigkeit, wurde auf ein Minimum reduziert und entstand durch Mitteilungen der Bewohner „in ihren gelegentlichen Äußerungen, in ausführlichen Antworten auf unsere Fragen, in den Erzählungen der Gemeindefunktionäre, in zufällig gefundenem Tagebuch- und Briefmaterial“ (Jahoda u.a. 1975, S. 24). Die objektiven Daten fanden die Forscher in den Vereinen und Verbänden entweder schon vor, oder sie mussten in Form von z.B. Mahlzeitverzeichnissen, Zeitverwendungsbogen und Beobachtungsprotokollen beschafft werden (vgl. ebd. S.24).

 

5. Die Erhebungsmethoden

5.1 Qualitative und quantitative Methoden

Die Marienthal-Studie wird wegen ihres methodischen Einfallreichtums und ihrer Methodenvielfalt sehr geschätzt. In der Untersuchung wurden qualitative wie auch quantitative Methoden zur Datengewinnung eingesetzt. Das Ziel der Untersuchung war es, exaktes Zahlenmaterial mit Erlebnissen, Erzählungen, Beobachtungen und Stimmungen der Marienthaler zu einem aufschlussreichen Werk zusammenzufassen. Das Forschungsteam bezeichnete die Studie als soziographisch, weil sie bestimmte Verhaltensweisen nicht einfach nur gezählt, sondern die komplexen Erlebnisweisen empirisch erfasst und dadurch den Zusammenschluss von Statistik und sozialer Reportage geschaffen haben. Die Arbeitslosigkeit der Marienthaler wurde dadurch von allen Seiten betrachtet, objektiv wie auch subjektiv. Das Empfinden der Menschen spielte für die Forscher und ihre Untersuchung eine genauso wichtige Rolle, wie das Handeln der Menschen in Marienthal (vgl. Jahoda u.a. S.14-16).

 

5.2 Angewandte Forschungsmethoden

Zu der Zeit, als die Marienthal-Studie entstand, war es etwas ganz Neues und ungewöhnliches, eine Untersuchung direkt in einem Ort bzw. vor Ort zu machen. Da die Forscher mehrere Monate in Marienthal verbracht haben, also direkt „im Feld“ waren, spricht man hier von Feldforschung (vgl. Girtler 2001, S. 21-25). Die Materialsammlung und der Kontakt zu den Bewohnern wurde mit humanitärer Hilfe (z.B. Kleideraktion) kombiniert. Dadurch besitzt die Studie auch Elemente von Handlungsforschung (vgl. Mayring 1999, S.35-39). Die angewendeten Methoden kann man in reaktive, also handelnde und nichtreaktive Methoden unterteilen.

 

5.2.1 Reaktive Methoden

1. Die teilnehmende Beobachtung und „Aktionsforschung“

Bei der teilnehmenden Beobachtung sammelt der Beobachter Daten, indem er in persönlichem Kontakt mit der betreffenden Person steht und an deren natürlichen Lebenssituation teilnimmt.

-         Bei der Kleideraktion wurden in Wien 200 Kleider- und Wäschestücke gesammelt, ausgebessert und an die Bewohner verteilt.

-         Die Forschungsmitarbeiter engagierten sich in den politischen Verbänden und in den örtlichen Vereinen.

-         Einmal in der Woche wurde ein Schnittzeichenkurs angeboten, an dem 50 Frauen teilnahmen.

-         Ärztliche Sprechstunden fanden einmal pro Woche statt.

-         Ein Turnkurs für Mädchen wurde angeboten.

-         Beratungsgespräche über Probleme in der Familie und der Erziehung wurden angeboten (vgl. ebd. S. 39).

 

2. Die Mündliche Befragung erfolgte durch:

-         Befragung der Lehrer über die Schulleistungen und das Gabelfrühstück (Pausenbrot) der Schulkinder.

-         Befragung des Bürgermeisters, der Ärzte, des Pfarrers und der Vereinsfunktionäre.

-         Befragung über die Umsatzzahlen beim Wirt, Friseur, Fleischhauer, Rossfleischhauer, Schuhmacher, Schneider und Zuckerbäcker.

-         Befragung über die Fürsorgetätigkeiten der Gemeinde (vgl. Jahoda u.a. 1975, S. 26-29).

 

3. Die schriftliche Befragung:

-         Zeitverwendungsbogen eines Tagesablaufes von 80 Bewohnern

-         Inventare von Mahlzeiten in 40 Familien über den Zeitraum von einer Woche

-         Haushaltstatistik (vgl. Mayring 1999, S. 42).

4. Projektive Daten

-         Schulaufsätze aus Volks- und Hauptschulklassen über folgende Themen:

1.      Mein Lieblingswunsch?

2.      Was will ich werden?

3.      Was ich mir zu Weihnachten wünsche?

-         Preisausschreiben unter den Jugendlichen über die Frage: Wie stelle ich mir meine Zukunft vor? (vgl. Jahoda u.a. 1975, S. 76-80).

 

5. Biografisches Interviews (narratives Interview)

Das biografische Interview ist eine Form des qualitativen Interviews, in der der/die Interviewpartner/in nicht mit typischen Fragen konfrontiert wird, sondern frei seine/ihre Geschichte erzählen kann. Der Interviewer greift nur in die Erzählung ein, wenn der sogenannte rote Faden der Geschichte verloren geht (vgl. Mayring 1999, S. 51ff). Aufgenommen wurden:

-         Ausführliche Lebensgeschichten von 30 Frauen und 32 Männern

 

5.2.2 Nichtreaktive Methoden

1. Amtliche Statistiken

-         Wahlergebnisse

-         Bevölkerungsstatistik (Altersaufbau, Geburten, Todesfälle, Eheschließungen, Wanderungsziffern)

-         Katasterblätter ( Personaldaten, Wohnverhältnisse etc.) von jedem Einwohner.

-         Beschwerden der letzten Jahre, die bei der Industriellen Bezirkskommission Wiener Neustadt eingegangen sind (vgl. Jahoda u.a. 1975, S.26-27).

 

2. Dokumentenanalyse

-         Geschäftsbücher des Konsumvereins (Umsatzentwicklungen)

-         Bücherausleihe in der örtlichen Bibliothek

-         Entwicklungen der Abonnentenzahlen bei diversen Zeitungen

-         Entwicklung der Mitgliederzahlen in Vereinen und Parteien

-         ein Tagebuch

-         Historische Daten (Gemeinde, Vereine, Verbände etc.) (vgl. ebd. S.26-29).

 

 

3. Verdeckte Beobachtung

-         Messung der Schrittgeschwindigkeit bei 50 Personen von einem verborgenen Fensterplatz aus.

-         Gesprächsthemen und Beschäftigung in öffentlichen Lokalen (vgl. ebd. S.26-29).

Um der Gruppe eine Veranschaulichung der Methoden zu geben, zeigen wir ca. 13 Minuten Ausschnitte aus dem Film: „Einstweilen wird es Mittag; oder Die Arbeitslosen von Marienthal aus dem Jahr 1988.

 

6 Die Ergebnisse

6.1 Auswertung der Ergebnisse

Da wir wegen der Fülle von Informationen nicht auf alle Ergebnisse eingehen konnten, haben wir uns auf die folgenden Ergebnisse konzentriert. Im Anschluss ist eine Gruppenarbeitgeplant, in der wir uns auf vier Familien (Jahoda u.a. 1975, S.65-69) konzentrieren werden. Die Aufgabe der Gruppen wird es sein, je eine Familie einem Haltungstyp zuzuordnen. Die Gruppe wird von uns drei Fragen zu bearbeiten haben und im Anschluss ihre Ergebnisse kurz vorstellen. Die Fragen lauten: 

1.) Welchem Haltungstyp ordnet Ihr diese Familie zu? (ungebrochen, resigniert, verzweifelt, gebrochen)

2.) Welche charakteristischen Kriterien sprechen dafür? Begründung?

3.) Wie könntet Ihr als Sozialarbeiter/in die Situation der Familie verbessern?

 

6.2 Der Gesundheitszustand

Die Gesundheit der Menschen in Marienthal war, als sie in der Textilfabrik gearbeitet haben nicht besonders gut, durch den Staub in den Spinn- und Webereibetrieben, der die Atmungsorgane angreift. Damals waren schon 90 % der Arbeiter und Arbeiterinnen tuberkulosegefährdet. Durch die frische Luft hat sich der Gesundheitszustand bei den Menschen jetzt zwar gebessert, dafür macht sich die einseitige Ernährung und die mangelnde Körperhygiene bei den Menschen gesundheitsgefährdend bemerkbar. Bei den Kindern unter 14 Jahren ergab sich dabei folgendes Bild: 16 % waren in guten, 51 % in mittlerem und 33 % in schlechten gesundheitlichen Zustand. Es ist aber anzunehmen, dass die tatsächlichen Gesundheitsverhältnisse vermutlich noch schlechter ausfallen dürften, denn die ärztliche Sprechstunde wurde von den ganz Verwahrlosten nicht in Anspruch genommen (vgl. Jahoda, u.a. 1975, S. 52-54). 6.3 Die müde Gemeinschaft

Das Leben der Bewohner in Marienthal war, nach Schließung der Fabrik von abgestumpfter Gleichmäßigkeit bestimmt. Die Menschen hatten sich mit ihrer Situation abgefunden, sie hatten sich daran gewöhnt, „weniger zu besitzen, weniger zu tun und weniger zu erwarten als bisher für ihre Existenz als notwendig angesehen worden war“(Jahoda u.a.1975, S. 55). Als Ausdruck dieses Zustandes ist der Rückgang der Aktivitäten und der sozialen Kontakte der Marienthaler zu nennen. Der verwilderte Stadtpark und die geringe Nutzung der örtlichen Bibliothek spricht genauso dafür, wie der enorme Mitgliedverlust in den Vereinen. Die Zahl der Abonnenten der Arbeiterzeitung ist von 1927 bis 1930 um 60 % zurückgegangen, obwohl die Menschen viel mehr Zeit hatten sie zu lesen (vgl. Jahoda u.a. 1975, S. 55 ff.).

 6.4 Die Zeit

Die freie Zeit erwies sich bei den Bewohnern nicht als Gewinn, sondern eher als tragisches Geschenk. Sie wussten nicht wie sie ihre freie Zeit nutzen können und glitten allmählich von ihrem geregelten Tagesablauf ins Ungebundene, ins Leere hinein..

Das Forscherteam machte die Entdeckung, dass die Frauen im Durchschnitt rascher gingen und nur halb so oft zu längeren Gesprächen stehen blieben wie die Männer. Die Frauen hatten im Unterschied zu den meisten Männern, immer noch eine Menge sinnvoller Aufgaben zu verrichten, denn sie hatten einen Haushalt zu führen, die Kleidung und Wäsche, so gut es ging, zusammenzuflicken etc. Wenn sie auf die Straße gingen, bedeutete das zumeist Besorgungen zu machen, oder die Kinder in die Schule zu bringen etc. Während die Männer nur auf der Straße waren, um nicht alleine zu Hause zu sitzen, um Spazieren zu gehen oder einfach nur mit den anderen herumzustehen, um so die Zeit „totzuschlagen“. Die Zeiteinteilung in Stunden hat für die Männer ihren Sinn verloren. Zwischen den drei Orientierungspunkten Aufstehen – Mittagessen – Schlafengehen befanden sich Stunden, indem sie nichts sinnvolles getan haben und sie diese Zeit auch schwer beschreiben können. (vgl. Jahoda u.a. 1975, S. 83-91).

 6.5 Die Haltung

In der Marienthal-Studie hatte das Forscherteam im Rahmen der Kleideraktion 100 Familien zu Hause aufgesucht, dieser Besuch wurde zu Gesprächen und Beobachtungen genutzt. Beim Vergleich dieser gewonnenen Eindrücke mit den Lebensgeschichten, den Beobachtungen in außerfamiliären Situationen stellte sich heraus, dass sich die 478 Familien in unterschiedlichen sind:

·        Ungebrochene Haltung: „Aufrechterhaltung des Haushaltes, Pflege der Kinder, subjektives Wohlbefinden, Aktivität, Pläne und Hoffnungen für die Zukunft, aufrechterhaltene Lebenslust, immer wieder Versuche zur Arbeitsbeschaffung“(Jahoda u.a. 1975, S.71);

·        Resignierte Haltung: „Aufrechterhaltung des Haushaltes, Pflege der Kinder, Gefühl des relativen Wohlbefindens, keine Pläne, keine Beziehung zur Zukunft, keine Hoffnungen, maximale Einschränkung aller Bedürfnisse, über die über die Haushaltsführung hinausgehen“(ebd. S. 70);

·        Verzweifelte Haltung: „Aufrechterhaltung des Haushaltes, Pflege der Kinder, Verzweifelung, Depressionen, Hoffnungslosigkeit, keine Pläne, Gefühl der Vergeblichkeit aller Bemühungen, keine Arbeitssuche, keine Versuche zur Verbesserung, wiederkehrende Vergleiche mit der besseren Vergangenheit“(ebd. S. 71);

·        Apathische Haltung: „Wohnung und Kinder sind unsauber und ungepflegt, Stimmung ist indolent, keine Pläne, energieloses, tatenloses Zusehen, keine Hoffnung auf Besserung, Wirtschaftsführung ist unrationell, viele Bettler“(ebd. S. 71f.).

Die vier Haltungstypen wurden von den Forschern als Ausgangspunkt für die quantitativen Analysen verwendet (16 % ungebrochen, 48 % resigniert, 11 % verzweifelt, 25 % apathisch (vgl. Mayring 1999, S. 81).

Unterschiede gab es auch im Einkommen, so besaßen die: „Ungebrochenen“ Familien im Durchschnitt 34 Schilling im Monat, die „Resignierten“ 30 Schilling, die „Verzweifelten“ 25 Schilling und die „apathischen“ Familien hatten 19 Schilling im Monat zur Verfügung. Schon die Differenz von 5 Schilling im Monat bedeutete für die Marienthaler „die Zugehörigkeit zu einer anderen Lebensform“(Jahoda u.a. 1975. S. 96).

Die Marienthal-Studie hat gezeigt, dass zumindest im Ort Marienthal langandauernde Arbeitslosigkeit nicht zu Radikalisierung, sondern zu Apathie bei den betoffenen Menschen führt. 

 
17. Januar 2005

Melanie Gall                                                                                       Katrin Student

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